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5. März 2020 | Altes Rathaus, Hannover | Prof. José Gutierrez Marquez

„Rekonstruktion ist eine Illusion“

Versuchen Sie erst gar nicht, sich meinen kompletten Namen zu merken,“ begrüßte der Träger des Deutschen Architekturpreises 2019 die rund 150 Zuhörer am Abend des 5. März 2020 im Alten Rathaus in Hannover. „Nennen Sie mich Pepe, das ist am einfachsten.“

Und so locker dieser Einstieg war, so spannend und gehaltvoll war der folgende Vortrag, in dem Professor Marquez vom Büro „Bruno Fioretti Marquez“ (Berlin/Lugano) seine Art der Auseinandersetzung mit dem Bauen im Bestand ausführte: Geistreich und mit vielen Zitaten aus Literatur, Philosophie und Kunst erklärte er anhand der Meisterhäuser in Dessau und dem Umbau des Schlosses Wittenberg, wie er sich diesen hochkomplexen Aufgaben nähert. In seiner Begrüßung wies der Vorsitzende der Lavesstiftung, Wolfgang Schneider, darauf hin, dass diese beiden Projekte deutlich machten, wie respektvoll Marquez beim Bauen im historischen Kontext vorgehe und dies auch in besonderem Maße bei der Verwendung des Materials Beton deutlich werde.

Beim Bauen im Bestand gehe es darum, so Pepe Marquez, sich von der Idee der Rekonstruktion zu lösen: „Man muss dabei eine völlig neue Sprache finden“. „Zurückbauen ist unmöglich, es ist eine Illusion, zu glauben, man könne den ursprünglichen Zustand wiederherstellen und dabei die Spuren der Vergangenheit löschen.“ Aufgabe der Architekten sei es vielmehr, die Komposition zu erkennen, freizulegen und schließlich als Ganzes zu zeigen, auch wenn Fragmente fehlten – Zerstörung dürfte dabei weiterhin sichtbar bleiben. Alte Gebäude seien Palimpseste, so der argentinische Architekt, vielfach überschriebene Werke, deren einzelne Schichten verborgen oder auch weiterhin erkennbar sind.

Erinnerung und Unschärfe
Seine Aufgabe beim Bauen im Bestand versteht Marquez als eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Thema der Erinnerung – und nimmt dabei Bezug auf den argentinischen Dichter Jorge Luis Borges, der das Vergessen als zentralen Bestandteil des Erinnerns sehe. „Das Gedächtnis lebt von Ungenauigkeit, Unschärfe.“ Bei der Arbeit an den Meisterhäusern sei es zunächst wichtig gewesen, herauszufinden, wie viele Informationen weggelassen werden könnten, ohne die Erkennbarkeit des Bildes zu verfehlen. „Es ging um eine absichtlich unperfekte, fragmentarische Interpretation des Originals.“ Daher die blinden Fenster, die beim Blick nach draußen nur Umrisse und Schatten erkennen lassen.

Metaphern und Geschichten
Bei aller Unschärfe in der Fassade sei jedoch die akribische und präzise Arbeit an den Details eine enorme Herausforderung gewesen, berichtet Marquez, ebenso wie das in Einklang bringen der baulichen Vorgaben mit dem umzusetzenden Entwurf. Auch bei der Arbeit am Schloss Wittenberg seien diese Diskussionen immer wieder sehr zehrend gewesen, beschreibt er im äußerst kurzweiligen Dialog mit Moderator und Architekturpublizist Nils Ballhausen – doch letztlich habe man im intensiven Gespräch immer gute Lösungen gefunden, deren Qualität jedes Mal in einem proportionalen Verhältnis zur Dauer des Prozesses stehe, so seine Erfahrung. Und er verriet auch, wie es ihm gelinge, Bauherren und andere Entscheidungsträger zu überzeugen: Wesentlich sei es, dass man in jeder Diskussion „Brücken baue, bevor man sie braucht.“ Das habe sich bei allen Projekten bewährt. Unerlässlich dabei seien gute Metaphern und Geschichten, die im Gegenüber die passenden Bilder und Emotionen hervorrufen. „Wenn wir nicht eloquent sind, dann bauen wir nicht.“

Fotos: Kai-Uwe Knoth