10. November 2005 | Altes Rathaus Hannover | Prof. Werner Sobek

Visionen von R 128 und darüber hinaus

„Die Deutschen sind ja eigentlich blöd, aber gute Architektur haben sie“, schrieb laut dem Spiegel einst die New York Times und meinte damit vor allem einen: Werner Sobek. Sein Haus R 128 geisterte damals durch alle Fachblätter und wurde mit zahlreichen Preisen aus­gezeichnet. Mittlerweile lebt der Archi­tekt und Bauingenieur über fünf Jahre in dem zwölf Meter hohem Turm aus Glas und Stahl, blickt über die Dächer von Stuttgart und freut sich über die Komplimente seiner Besucher, die am Ende alle der Meinung seien, dass es sich in dem Glaskasten doch ganz ge­mütlich wohnen lässt. R 128 ist aber nicht nur ein exzentrisches Wohnhaus, es ist auch Zukunftsvision, Machbar­keitsstudie, ökologisches und nachhalti­ges Renommierprojekt, Zauberwürfel. Grund genug für die Architektenkam­mer Niedersachsen und ihren Präsiden­ten Wolfgang Schneider, Sobek einzu­laden, seine Visionen für das „Haus der Zukunft“ zu erfragen und in der Reihe „Architektur im Dialog“ zur Diskussion zu stellen.

Und Sobeks Visionen wussten die über 200 Zuhörer zu beeindrucken. Er erklärte, dass das wichtigste am Haus der Zukunft, sein problemloser Abriss sei – am besten ein Abriss, bei dem alle Bauteile sortenrein zerlegt, recyclebar und schadstofffrei seien, wie bei R 128. Heutige Architektur sei eben nicht für die Ewigkeit und müsse von kommen­den Generationen auch wieder verwor­fen werden können. „Ephemer“ bauen nennt das der 52-jährige Professor, der an der Universität Stuttgart am Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstru­ieren“ als Nachfolger von Frei Otto und Jörg Schlaich tätig ist und auch schon in Hannover lehrte. Nachhaltigkeit und Transparenz sind entscheidende Stich­worte in seinen Werken, Glas sein tra­gender Baustoff und liebster For­schungsgegenstand. Alle möglichen Formen und Zwecke des Glasbaus ste­hen im Zentrum seiner universitären Arbeiten. Zusammen mit den Studie­renden bebaut er große Flächen des Stuttgarter Institutsgartens mit Prototy­pen, die er in Langzeitstudien beobach­tet und auswertet. Wände aus Stein kommen bei Sobek nicht vor. Vielmehr fragt er sich, ob Bewohner in zukünfti­gen Häusern überhaupt noch unter­schiedliche Räume brauchen, ob die Möbel nicht je nach Bedarf aus dem Boden herausgeklappt werden könnten. Das Wohnzimmer sei eh eine Überliefe­rung aus Zeiten in denen noch Empfän­ge stattfanden oder repräsentiert wer­den musste. Der Architekt dürfe sich bei seinen Überlegungen von solch tradier­ten Vorstellungen nicht einengen las­sen, so Sobek. Je weniger Material, des­to nachhaltiger, je besser das Material, desto weniger Kosten. Sein Glashaus verbraucht selbst keinen Strom und kein Gas oder Öl, das Spezialglas er­setzt jede Klimaanlage. „Prinzipien wei­terdenken“, lautet Sobeks Motto. Neben Glas setzt er auch auf Stoff. Warum nicht Fassaden oder Dächer entwerfen, die auf den Prinzipien atmungsaktiver Outdoor-Kleidung aufbauen, fragt sich der Ingenieur derzeit.

Die Zuhörer im Alten Rathaus staunten zu Recht. Werner Sobeks Visi­onen treiben die Diskussion um das zukünftige Bauen an und seine Studien liefern die nötigen Daten, um nicht im theoretischen stecken zu bleiben. Der Kult um das Haus R 128 ist dabei im­mer wieder Ausgangspunkt intellektu­eller Debatten mit scheinbar einfachen Fragen: Was ist heute möglich? Was wird morgen möglich sein? Wenn es nach Sobek geht, vor allem die ökolo­gische Erneuerung des Wohnungsbaus. Glas, soviel ist sicher, wird dabei eine entscheidende Rolle spielen, denn Transparenz und Licht, weiß Sobek aus eigener Erfahrung, seien die besten Antidepressiva. Für eine großkoalitio­när gebeutelte Republik, also momen­tan vielleicht genau das richtige Re­zept.

 

Fotos: Kai-Uwe Knoth