3. Februar 2011 | Altes Rathaus Hannover | Prof. Dr. Gesine Schwan
Architektur und Philosophie - ein Frage der Haltung? Kammerpräsident Wolfgang Schneider stellte seinem ersten Gast im neuen Jahr bei der Vortragsreihe der Lavesstiftung „Architektur im Dialog“ keine leichte Aufgabe. Gesine Schwan, Präsidentin der Humbold-Viadrina School of Governance und zweimalige Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, beantwortete die Frage am Ende ihres Vortrages gleichwohl mit Ja: Bürger in einer Demokratie zu sein, habe immer etwas mit Haltung zu tun. Und aufrechtes Bürgersein müsse von einem demokratischen Bauen, das Offenheit und Vielfalt anstrebe, unterstützt werden. Die Architektur, so Schwan, sollte die Grundideen der Demokratie wie Freiheit und Bürgerlichkeit in sich vereinen und sich dem Zeitgeist widersetzen.
Ein „bloßes Bauwerk“, das allein ökonomischen Interessen unterliege, müsse dabei von der Architektur als „gestaltetem Raum“ unterschieden werden. Sie kritisierte, dass die ökonomische Rentabilität immer stärker zum Erfolgsmodell der Gesellschaft erhoben werde. In ihren Augen führt die Eindimensionalität, mit wenigen Mitteln möglichst viel erreichen zu wollen, zu disfunktionalen Gebäuden, wie es bei Flughäfen zu beobachten sei, deren eigentliche Funktion in den Hintergrund gerate: Ziel dieser Bauten sei es nicht mehr, die Menschen schnell zum Flugzeug zu geleiten, sondern sie an möglichst vielen Geschäften vorbeizuschleusen.
Die Gebäude gehorchten den Interessen der Investoren. Diese Instrumentalisierung des Menschen, so Schwan, widerspreche guter Architektur.
Was also definiert gestalteten Raum? Die Architektur sollte sich nicht nur fragen, für was, sondern vor allem für wen gebaut werde, so Schwan. Die Chance der Architektur stecke darin, die Menschen in ihrer Individualität zu stärken. Niemals dürfe sich das Bauwerk über die Menschen erheben, wie es bei der Architektur des Dritten Reiches angestrebt worden sei. Der gestaltete Raum müsse den Menschen dienen, ihrer Vielfalt einen Ausdruck verleihen und daraus seinen Wert schöpfen. Funktionalität sei eben nicht alles und Nützlichkeit allein kein hinreichendes Kriterium zur Beurteilung einer Sache.
„Der Urteilsfähige muss offen sein für die Vielfalt der Meinungen und Erfahrungen“, sagte Schwan. Gerade die Umsetzung großer Projekte – und damit spielte sie ebenso auf den Niedersächsischen Landtag wie auf Stuttgart 21 an – sei daher nur erfolgreich, wenn Vielfalt als Reichtum begriffen werde und die Bürger frühzeitig in die Planungen mit einbezogen würden.
Die Architekten ständen dabei als aufgeklärte Bürger in einem unerlässlichen Dialog um langfristige gesellschaftliche Entscheidungen. Bauen als gelebte Demokratie.
Fotos: Kai-Uwe Knoth