27. April 2006 | Altes Rathaus Hannover | Markus Allmann u.a.
Der jahrzehntelange Trend der Suburbanisierung ist gebrochen, coming back to town heißt die neue Devise. Zusammen mit gut situierten Singles und jungen Familien, die das urbane Leben schätzen, ziehen auch die Shopping-Center zurück in die Kernstadt. Die einst nach amerikanischem Vorbild für die grüne Wiese konzipierten Malls beanspruchen für ihre großvolumigen Baukörper nicht nur in den Oberzentren, sondern mittlerweile auch in Klein- und Mittelstädten große zentrale Areale. Die Städte freuen sich über finanzkräftige Investoren, die neue Impulse in den Innenstädten setzen, während der Einzelhandel in der traditionellen Kernstadt sich einer völlig veränderten Konkurrenzsituation ausgesetzt sieht und Architekten und Stadtplaner klagen, da sie in der Form der zentralisierten und hermetischen Shoppingbauten eine Gefahr für die historisch gemischte europäische Stadt sehen.
Angesichts 140 neuer Center in den letzten 15 Jahren allein in Deutschland geht es aber nicht mehr um die Frage, ob die Entwicklung aufzuhalten ist, sondern ob sie eine Chance oder ein Problem für die Stadt darstellt? Eine Frage, die allerorten die Experten umtreibt, während die Kunden dort kaufen, wo es ihnen Spaß macht – und das scheint immer weniger in der alten Fußgängerzone des Zentrums der Fall zu sein.
Die Architektenkammer Niedersachsen lud im Rahmen der Reihe „Architektur in Dialog“ am 27. April ins Alte Rathaus in Hannover zu einer Podiumsdiskussion ein, um zu klären, welchen Einfluss die Konsumtempel auf den öffentlichen Raum, auf das Stadtbild und das Verhalten der Bürger tatsächlich haben.
Kammerpräsident Wolfgang Schneider, der ins Thema einführte, war sich sicher, dass das urbane Problem der neuen Einkaufszentren nicht ihre Existenz, sondern die Größenordnung, die Monofunktion und oft auch die ästhetische Verödung sei. „Die gewachsenen Kerne dürfen nicht durch überdimensionierte Komplexe städtebaulich zerstört werden. Um diese Gefahr abzuwenden, empfehle ich, viel Wert auf die Einpassung und die Gestaltqualität der neuen Bauten zu legen.“ Schneider forderte Stadtverträglichkeitsstudien im Vorfeld einer geplanten Ansiedlung, die Grundlage eines Architektenwettbewerbs sein könnten.
Die Runde der Podiumsteilnehmer gab ihm Recht. Der Oldenburger Soziologe Walter Siebel verwies auf Studien, die belegen, dass bei 15.000 Quadratmetern die kritische Größe einer Mall erreicht sei. „Dann wird das Center ein autarkes Gebilde, das kein Interesse mehr an einer Öffnung zur Stadt hin hat. Die Städte müssen sich also fragen“, so Siebel, „wie viele Quadratmeter sie zulassen wollen.“
Einig war man sich, dass große Zentren große Komplexe besser vertragen, als kleine. Moderatorin Amber Sayah von der Stuttgarter Zeitung bemängelte die kritische Reflexion seitens der Städte. Sie fragte, ob „die Investoren ihre Größenvorstellungen mit Geld durchsetzen, ohne Rücksicht auf den Ort zu nehmen?“ Olaf Jaeschke, Vorsitzender des Braunschweiger Einzelhandelsverbandes, teilte die Befürchtung Sayahs und forderte, dass die Politiker sensibler mit Offerten seitens der Centerbetreiber umgehen müssten. Hannovers Stadtbaurätin Uta Boockhoff-Gries, die sich nach der Diskussion aus dem Publikum heraus zu Wort meldete, bestritt dies jedoch vehement. Die Stadt habe im aktuellen hannoverschen Fall der ECE-Ansiedlung am Bahnhof über fünf Jahre mit dem Investor verhandelt und die gefundene Lösung in Größe und Gestalt entscheidend mit geprägt.
Stadtplaner Klaus Trojan lobte den Siegerentwurf des Wettbewerbes in Hannover, der den spröden Charme des umgebenden Ortes aufnehme. „Der Standort verträgt die neue Struktur“, war seine Meinung. Womit im Fall Hannover die Frage eher eine wirtschaftliche bleibt: Nämlich, ob die Mall eine Ergänzung des Einzelhandels, eine Konkurrenz oder eine Verschiebung darstellt.
„Der Versuch der City, die Shopping-Mall zu kopieren, wird scheitern“
Vielerorts sind aber vor allem die städtebauliche und gestalterische Integration der Shopping Center in den Städten unbefriedigend. Architekt Markus Allmann aus München stufte den Einfluss, den Architekten hier geltend machen können, aber gering ein: „Die starken Markenfirmen, die in den Centern ihre Läden betreiben, geben die Gestalt durch ihr Corporate Identity vor. Als Architekten können wir nicht darüber hinwegtäuschen.“ Die Architekten müssten sich daher weniger als Partner der Bauherren, sondern vielmehr der Stadtverwaltung sehen und sie beispielsweise in Fragen der Typologie beraten.
Insgesamt konstatierte Allmann: „Die Malls sind die neuen öffentlichen Räume, die neuen Marktplätze“. Was sollen die alten Marktplätze gegenüber der neuen Konkurrenz also tun? Erste Ansätze von Business Improvement Districts führten bislang eher zu Nachahmungstendenzen. So imitieren überdachte Straßenräume ein Einkaufserlebnis wie in der Shopping-Mall, statt ein eigenständiges Flair zu entwickeln.
„Die Innenstädte müssen wieder mehr Stadt werden, statt Freiluftkaufhäuser zu sein“, forderte Walter Siebel. „Der Versuch der City, die Shopping-Mall zu kopieren, wird scheitern. Durch die Präsenz von Geschichte, wie auch durch belebte Verkehrswege hat die Stadt den musealen und gesichtslosen Malls aber durchaus etwas entgegenzusetzen.“, meinte der Soziologe.
Olaf Jaeschke forderte in seinem Schlussstatement mehr Sinnlichkeit von der Stadt und mehr Verantwortung seitens der Immobilienbesitzer, um gegenüber den Centern konkurrenzfähig bleiben zu können. Und die Konkurrenz ist groß: Nach Angaben des europäischen Handelsinstituts sind zwischen 2006 und 2008 über 50 weitere Einkaufszentren mit einer Gesamtfläche von 1,4 Millionen Quadratmetern vorgesehen. Da wird einige Sinnlichkeit von Nöten sein – sowie gute Architekten, die aus einem Shopping-Center mehr machen, als einen autarken Monolithen inmitten der City.
Fotos: Henning Scheffen