23. November 2017 | Altes Rathaus, Hannover | Podiumsdiskussion

Bestandsaufnahme

Wolfgang Kil, Architekturkritiker und Moderator dieser Architektur im Dialog-Veranstaltung Ende November in Hannover (diesmal als Podium organisiert), sprach von einem schwierigen Zeitraum. Gemeint waren die Jahre von 1960 bis 1980, die Zeit also, aus der rund ein Drittel des heutigen Gebäudebestands in Deutschland besteht. Dieser Bestand, einst oftmals mit hohen Ansprüchen gebaut, ist zum Problemfall geworden, nicht nur weil Grundrisse oder Gestaltungen nicht mehr zeitgemäß wirken, vor allem brandschutztechnisch oder energetisch sind die Gebäude im wahrsten Sinne von Vorgestern. Dennoch, so Wolfgang Schneider, Vorsitzender der Lavesstiftung, müssen wir diesen Bauten Respekt entgegenbringen. Ein neues Bewusstsein forderte auch Kil, von Wertschätzung sprach Kai-Uwe Hirschheide, Stadtbaurat aus Wolfsburg, und der Architekt Gregor Angelis, Vize der Lavesstiftung, forderte gar: „Wir müssen jetzt handeln.“ Denn bei Weitem stehen nicht alle Bauten dieser Ära, die es verdient hätten, unter Denkmalschutz, viele werden bis zur Unkenntlichkeit überformt, andere gedankenlos abgerissen.

Doch wann ist ein Haus alt genug, um darum zu kämpfen?, fragte Kil. Alter allein reiche als Kriterium nicht aus, konterte Christina Krafczyk, neue Präsidentin des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege. Unabhängig von ihrer Entstehungszeit müssten die Repräsentanten bestimmt werden, die einen Erhalt für die Gesellschaft erfordern. Problematisch sei, so Krafczyk, die schwierige Umnutzung der alten, oftmals monogenutzten Gebäude. Viele der Gebäude fielen derzeit aber aus ihrer angestammten Nutzung heraus, so Kil, beispielsweise Bahnhöfe, Kirchen oder Kaufhäuser, die aufgegeben würden und dringend einer neuen Nutzung bedürfen. Jedes der Gebäude müsse im Einzelnen betrachtet werden, meinte Krafczyk. Es brauche individuelle Lösungen.

Schneider sah in dieser Aufgabe ein großes Potenzial für den Berufsstand. Um neue Nutzungskonzepte zu entwickeln, brauche es ein kreatives und auch interdisziplinäres Zusammenwirken der Architekten mit verschiedensten Fachplanern. Schneider fand in der heutigen Zeit viele Parallelen zu den 60er-Jahren, wirtschaftlicher Aufschwung, Bauboom, Fortschrittsglaube. Vom Bauen der damaligen Zeit, von der Qualität der Räume, könne die heutige Generation viel lernen und ins Jetzt überführen. Hirschheide fügte noch die Nutzer und die Bürgerinnen und Bürger dieser Betrachtung hinzu, ohne deren Beteiligung keine Akzeptanz beim Weiterbauen erzielt werden könne. Doch ist Weiterbauen überhaupt die richtige Lösung? Was bleibt den Gebäuden dann noch vom Charakter der damaligen Zeit?

Kein Grundriss sei unveränderbar und ein Weiterbauen richtig, sagte Angelis. Der Abriss, in vielen Betrachtungen schnell die einfachste Lösung, sei keine. Vielmehr müssten neue Methoden für den Umgang mit dem Bestand gefunden werden.

Matthias Rüger, Vorsitzender des BDA-Niedersachsen, brachte aus dem Publikum einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein: die Ästhetik. Diese sei der größte Vorwurf, der der Ära aus der Bevölkerung heraus gemacht werde, doch gerade die Ästhetik müsse doch erhalten und ihre Qualitäten erklärt werden. Würde ein Weiterbauen dies nicht verhindern?

Schneider verteidigte die Ästhetik der Ära und verwies beispielhaft auf die architektonischen Vorzüge der Musikhochschule Hannover, die mittlerweile unter Denkmalschutz steht, gleichwohl aber saniert werde. Hier sprach der Architekt, der um diese Qualitäten weiß. Dass die Vermittlung schwierig bleibt, weiß auch er. Das neue Buch der Lavesstiftung „AUFBRUCH. Architektur in Niedersachsen 1960 bis 1980“ soll helfen. Es zeigt allen, die es wissen wollen, was uns das gebaute Erbe wert sein sollte. Über Geschmack kann man bekanntlich streiten, für die Bewertung von Architektur aber gibt es Kriterien. Diese auch für die 60er- bis 80er-Jahreaufzustellen, ist Anspruch der Lavesstiftung. 

Fotos: Kai-Uwe Knoth