22. Juni 2017 | Altes Rathaus, Hannover | Martina Löw
Raum ist plural
Raum, der fängt im eigenen Vorgarten an. Und war uns dieser bis vor kurzem noch lokal individuell gewiss, so scheint er inzwischen emotional, medial, global vernetzt. Oder wann haben Sie zuletzt ein Handyfoto Ihres Vorgartens verschickt? Prof. Dr. Martina Löw, Soziologin am Institut für Soziologie, Planungs- und Architektursoziologie der TU Berlin spürte Ende Juni bei „Architektur im Dialog“ der Lavesstiftung der sozialen Bedeutung von Raum nach.
Wolfgang Schneider, Vorsitzender der Lavesstiftung, fragte eingangs: „Können Architekten Raum?“ Das wollte er wissen und hatte die Soziologin kurzerhand eingeladen. Die rund 150 Zuhörer waren ebenso gespannt. Und ja, Architekten können Raum – wenn sie sich klar machen, dass er keine feststehende Größe und kein Solitär ist. Raum sei, so Löw, komplexer geworden, er sei hybrid und nur „im Plural zu haben“. Wenn auch physisch im Raum „vor Ort“, stünden die Menschen heute doch gleichzeitig in anderen Räumen, an anderen Orten, sie befinde sich parallel in verschiedenen Räumen. Auch der abwesende Raum würde damit anwesend. Das Telefon macht dies schon lange möglich, und doch hat erst die Entwicklung des Smartphones das Verständnis von Kommunikation und damit auch von den Dimensionen des Begriffs Raum grundlegend verändert. Die mediale Verbundenheit knüpft aus einem inselhaften Dasein heraus ein hybrides Netz von Räumen. Die Menschen erfahren Raum laut Löw „polykontextuell“. Über den leiblich erfahrbaren Raum lege sich ein „Layer“, der zur Diversifi ation und damit zur Komplexitätssteigerung bei der Schaffung von Räumen führe. „Form Follows Complexity“. Architekten sollten daher vielfältige Überlegungen bei der Konzeption von Räumen anstellen, rät Löw. Es seien Handlungen und Beziehungen, die Räume überhaupt erst ermöglichten – und begrenzten. Die Komplexität des Raumbegriffs vor Augen, besteht die (gesellschaftliche) Aufgabe wohl darin, angemessene Räume für „komplexe“ Menschen zu schaffen.
Löw warnt dabei vor einer Homogenisierung und zeigt entsprechend abschreckende Beispiele der gleichgeschalteten Stadtplanung (Stichwort: Smart-City) aus China. Der fundamentale Wandel, so die Soziologin, gehe nicht konfliktfrei vonstatten, eine Gegenbewegung von der Vernetzung hin zur Abschottung habe bereits eingesetzt. Das zeigten ebenso regional wie international wirksame Bestrebungen wie die Abkehr vom Freihandel, die Förderung lokaler Produktion, der Brexit. Auch daraus erwachse eine neue Verantwortung für die Architekten. Sozial zu sein, so Löw, erkläre sich im Raum. Im besten Fall trage eine gute Gestaltung zur Wiederbelebung des städtischen Alltags bei. Und der fängt bekanntermaßen im eigenen Vorgarten an.
Fotos: Kai-Uwe Knoth