27. Mai 2010 | Altes Rathaus Hannover | Kaspar Kraemer
Den weiten Blick unterm nördlichsten Leuchtturm Deutschlands konnte Kaspar Kraemer in den Schulferien genießen. Aufgewachsen ist er in einem Haus, das sein Vater Friedrich Wilhelm Kraemer, Begründer der „Braunschweiger Schule“, am Rande der Stadt errichtet hatte: in seiner maßvollen Schönheit und mit zurückhaltenden Proportionen weniger idyllisches Refugium als anschauliches Manifest für einen an Aufklärung und Humanismus orientierten, auf das menschliche Maß gegründeten Städtebau. Wie derartige „Kindheitserinnerungen“ einen Architekten prägen, demonstrierte Kraemer am 27. Mai bei seinem Vortrag im Rahmen der Reihe „Architektur im Dialog“ in seinen Erläuterungen zu einer Vielzahl von Fotos und Plänen. Vor allem aber machte der langjährige Präsident des BDA deutlich, wie er in seinem eigenen, 1999 gegründeten Kölner Büro die Grundsätze und Ziele der Nachkriegsmoderne entwickelt, zeitgemäß umformuliert hat. Verkörpert wird dieses Ideal von Eindeutigkeit und Klarheit selbst noch in einer „Gebrauchsarchitektur“ wie dem Hochwasser-Pumpwerk am Rhein: Die im Erdreich verborgene Technik, die reine Funktion hat Kraemer mit einer ästhetischen Setzung gekrönt.
Das Betriebsgebäude markiert auf der Uferböschung eine Art Stadttor, hinter der Umkleidung aus Gitterrosten tauchen LED-Leuchtkörper den schlichten Kubus in unterschiedliche Signal-Farben, je nach Wasserstand.
Kraemer, der in Darmstadt, Zürich und Yale studiert, ab 1977 an der Seite seines Vaters im Büro KSP gearbeitet hat, resümiert seine Erfahrungen mit Postmoderne und ähnlichen Zeitgeist-Schwankungen in dem Motto: „Es geht nicht darum, zu zeigen, wie viel Fantasie man hat, sondern wie man die Fantasie konzentriert organisiert.“ Das hat sich bewährt: wer tagtäglich nach Köln hineinfährt, schaut auf Kraemers Pumpwerk, wird als Pendler auf die Stadt eingestimmt. Auch den Touristen in Köln bringt ein der Geschichte verpflichteter Architekt die Bauwerke der Vergangenheit im Wortsinne nahe: Der unterirdische Zugang zum Südturm des Doms wird durch eine Art Säule erschlossen, eine funktionale Skulptur aus Naturstein, Messing und Glas, nicht marktschreierisch, sondern dem Geist des Ortes und der Funktion des Gebäudes angepasst. Diese bedachtsame Balance findet auch in einem Industriegebäude nahe dem Fußballstadion in Mönchengladbach ihren Ausdruck: In dem Neubau wurden die Unternehmensbereiche Verwaltung, Produktion und Logistik zusammengeführt – deutlich sichtbar in der Gliederung der Fassade, zusammengehalten durch ein großzügiges Atrium, das die räumliche Konstellation aufwertet und ohne großen Aufwand für einen gestalterischen „Mehrwert“ bürgt.
Die Realisierung dieses Schönheitsideals, das klang in Kaspar Kraemers Werkbericht immer wieder an, verlangt Durchsetzungsvermögen, Überzeugungskraft - und eine besondere Form der Zivilcourage: Als Präsident des BDA vertrat Kraemer einen Verband, der gegen den Schlossaufbau in Braunschweig eingestellt war. Als Freiberufler, als Bürger, legte der Architekt seinen eigenen Plan vor, der die erkennbare Trennung von Schloss und Einkaufszentrum in zwei unterschiedlichen Baukörpern vorsah. Dazu kam es nicht, leider: Die transparent, im besten Sinne „einsichtige“ Komposition hätte dem Passanten vermittelt, worin für Friedrich Wilhelm Kraemer der Wesenszug jeder Kunst bestand, in der Musik ebenso wie beim Bauen galt und gilt: „So auch wird dem Architekturbetrachter ein reicherer Gehalt entgegenklingen, wenn er sich Aufbau und Kompositionsidee klarmachen kann.“
Fotos: Kai-Uwe Knoth