27. Februar 2007 | Altes Rathaus Hannover | Christian Wulff
Stöckmann: Herr Ministerpräsident, beim Bau des Felix-Nussbaum-Hauses in Ihrer Heimatstadt Osnabrück konkurrierten die Entwürfe von Giorgio Grassi und Daniel Libeskind. Sie favorisierten damals Grassi, gebaut wurde Libeskinds Entwurf. Wie sehen Sie die Entscheidung heute?
Wulff: Die Jury hat sich damals für den mutigeren Entwurf von Daniel Libeskind entschieden, und der hat Osnabrück viel gebracht. Immerhin kürte die New York Times das Museum nach seiner Fertigstellung zu einem der bedeutendsten architektonischen Bauwerke des Jahres. Das alleine rechtfertigt einen solchen Entwurf. Die Vorteile in Grassis Arbeit, die ich damals gesehen habe, können jetzt, indem man die fehlenden Räumlichkeiten schafft, nachgeholt werden. Diese Kombination ist das Beste, was passieren konnte. Ich fand gut, wie Libeskind das Jüdische Museum in Berlin kreiert hat. Bei dem schwierigen Thema Holocaust ist es wichtig, wie der Architekt sich dem Thema nähert. Das für mich eindrucksvollste Museum zur Aufarbeitung der Geschichte ist das Holocaustmuseum in Washington D.C. Dort hatte ich das Gefühl, meiner Tochter am ehesten zeigen zu können, was damals in Deutschland geschehen ist. Architekten können wesentliche Beiträge zu dieser Aufarbeitung liefern. Beim Nussbaum-Haus nimmt beispielsweise die beklemmende Atmosphäre immer mehr zu, während man durch dieses Museum geht. Das war ja der Wunsch von Daniel Libeskind. Grassi wie Libeskind waren damals in ihrer Präsentation der Entwürfe in der Lage, sich Kommunalpolitikern in einer verständlichen Sprache zu öffnen. Es war daher eine sehr gute Entscheidung möglich, jedoch unter dem Manko des zuvor verabredeten Fraktionszwangs. Ähnliches würde ich heute nicht wieder zulassen. Bei solchen Fragen muss die Abstimmung schlichtweg freigegeben werden, jeder Einzelne muss für sich entscheiden können.
Stöckmann: In letzter Zeit habe ich verstärkt den Eindruck, dass es immer dann um Werte geht, wenn das Geld knapp geworden ist, weil Werte nicht allzu viel kosten. Wie erreicht man, dass es im Städtebau nicht um Repräsentation und Fassade alleine geht?
Wulff: Architekten haben immer mit dem Problem zu kämpfen, dass der Auftraggeber eine Menge entscheidet – was im Grundsatz auch akzeptabel ist. In Wanzleben etwa habe ich ein Bürogebäude eingeweiht, in dem 180 Mitarbeiter beste Arbeitsbedingungen haben. Der Bauherr ist dabei mit seinem bescheidenen Budget ausgekommen. Kosten-Nutzen-Relationen können also aufgehen. Interessante architektonische Gebäude können im preislichen Rahmen gestaltet und nutzerfreundlich ausgestattet werden und trotzdem ein architektonischer Gewinn sein. Das Spektakuläre ist nicht immer das Beste, aber auf jeden Fall das, über das die Leute am meisten die Nase rümpfen.
Stöckmann: Erfordert das Phänomen der perforierten Stadt einen Stararchitekten, der die große Attraktion baut, oder eher den gewieften Architekten, der den chirurgischen Eingriff bewältigt?
Wulff: Ich beobachte als verantwortlicher Politiker, dass die Städte Probleme haben, die gelöst werden müssen. Ich finde Ansätze interessant, bei denen gemeinschaftlich überlegt wird, wie Leerstand aufgefangen und Gebäude wiederhergestellt werden können. In Einbeck gibt es ein altes historisches Gebäude, das mit Bürgerengagement wiederaufgebaut wurde und das jetzt viele Touristen anzieht. Dadurch werden auch die umliegenden Cafés und Geschäfte bevölkert. Im Landtag und in der Landesregierung diskutieren wir noch über die Einrichtung von Distrikten wie in Amerika, wo mit einer zusätzlichen Abgabe bestimmte Entwicklungen gelenkt werden. In jeder kleineren oder größeren Stadt, in jedem Stadtteil gibt es spezifische Probleme und wir müssen uns spezifische Lösungen für diese Probleme überlegen. Wir müssen den Gemeinsinn, den Bürgersinn fördern, sich dieser Sache anzunehmen und aktiv mitzuarbeiten.
Stöckmann: Wie wird dieser Bürgersinn geweckt? Sie haben Förderprogramme angekündigt. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Städte untereinander konkurrieren, statt mit Bürgersinn individuelles Profil zu entwickeln?
Wulff: Wir wissen, dass wir mit einer Million Euro Städtebaufördermittel zehn bis zwölf Millionen Euro an anderen Stellen lostreten können. Mit Städtebaufördermitteln kann viel bewegt werden. Auch Instrumente wie die Absetzbarkeit von Lohnbestandteilen aus Handwerkerrechnungen haben eine volkswirtschaftlich positive Bilanz entfaltet. Die Menschen lassen ihre sanitären Anlagen renovieren oder das Dach sanieren, wenn sie 20 Prozent von 3000 Euro im Jahr absetzen können – das hat auch ökologische Folgen. Solche Anreizfunktionen zur städtebaulichen Entwicklung, zu Sanierungen, zu Bautätigkeiten sorgen mit dafür, dass die Arbeitslosigkeit bei Architekten und Ingenieuren momentan zurückgeht und dass wir wieder angemessenere Umsätze für die Büros haben. Gerade die freien Berufe im Baubereich haben genau wie die Bauunternehmen in den vergangenen Jahren sehr gelitten. Der aktuelle wirtschaftliche Aufschwung, hat auch damit zu tun, dass in diesen Bereichen wieder mehr an die Zukunft gedacht, geplant, gebaut und ausgegeben wird. Ich habe mich während der vergangenen Jahre mit Ihnen als Architekten und Ingenieuren intensiv befasst – auch durch das ständige Drängen der Architektenkammer.
Stöckmann: In den Fußgängerzonen der Städte ist für mich als Stadtbürger ein Problem, dass überall eine identische Mischung vorherrscht. Oft weiß ich nicht, ob ich in Düsseldorf oder in Dresden ausgestiegen bin. Wie könnte man das verhindern oder zumindest eindämmen?
Wulff: Die Monotonie ist ein Riesenproblem. Die Unverwechselbarkeit, das Eigenprofil durch historische Bauten und eigene Schwerpunkte ist von großer Bedeutung. In Oldenburg, Celle, Braunschweig oder Hannover – überall erlebe ich den Bau von ECE-Centern. Ich erlebe aber auch, dass es Städte gibt, die Ähnliches mittelständisch geschafft haben. In Osnabrück etwa gibt es eins der zehn größten Textilkaufhäuser in Deutschland in privater Hand. Das hat durch nochmalige Erweiterung und Investments ein ECE in Osnabrück verhindert – dort wurde mittelständisch gebaut und es gibt eine erneuerte Fußgängerzone, für die Anlieger zusammengelegt haben. Unsere Landeskampagne für bürgerschaftliches Engagement heißt ,,unbezahlbar und freiwillig’’. Das bürgerschaftliche Engagement, das Zusammenbringen von Geld, Ideen und mittelständischen Strukturen ist gar nicht zu bezahlen. Hinzu kommt, dass dieses Engagement mit heimischen Bauunternehmern, heimischen Tiefbauern, heimischen Ingenieuren und heimischen Architekten umgesetzt wird.
Stöckmann: Wie stehen Sie zur Institution der Gestaltungsbeiräte? Wir haben gesehen, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten – zumindest in den kleineren Kommunen – die Stadtbauräte verschwunden sind und damit auch deren individuelle Entscheidungen, die die Städte ja auch geformt, geprägt und belebt haben.
Wulff: Nach meiner Überzeugung geht ohne Stadtbaurätinnen oder Stadtbauräte gar nichts. Mit ihrer jeweils ganz individuellen Art und ihrer eigenen Note bringen sie Städte wirklich voran. Vielleicht sollten sie häufiger wechseln, hier und da acht Jahre ihre Prägehandschrift ausüben und dann wieder woanders an einen anderen Ort gehen. Ich könnte mir eine Art Fluktuationsmodell vorstellen. Ich bin absolut dafür, dass es in Städten, auch kleineren Städten, jemanden gibt, der für die Stadtentwicklung und die Stadtplanung eine maßgebliche Kompetenz hat und der die ehrenamtlich tätigen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker berät und sich des Sachverstandes anderer über Gestaltungsbeiräte bedient. Ich halte es für sehr positiv, wenn auch mal jemand sagt, dieses Haus wird nicht abgerissen. Das war auch der Beginn meiner politischen Arbeit. Mit 15 Jahren habe ich mich gegen den Abriss alter Häuser in Osnabrück engagiert. Wir haben diese Gebäude damals erhalten können und heute freut sich die ganze Stadt darüber, dass die Häuser noch stehen. In Braunschweig ist mit einer Stimme Mehrheit das Schloss abgerissen worden und wird jetzt mit einer Stimme Mehrheit wieder aufgebaut. Die Themen Entwicklung, Stadtplanung, Bauleitplanung und öffentliche Bauten sind ein hart umkämpftes Gebiet.
Fotos: Henning Scheffen